ALTE FÖHE BEI KETTLASBRUNN

DIE MÄCHTIGE FÖHRE

© Gerlinde Pauschenwein 

 

Mehrmals bin ich in meinem Leben umgezogen, überall fand ich in unmittelbarer Umgebung Baumriesen unter deren Kronen ich meditieren, ungestört lesen oder Gedichte schreiben konnte.

So war es auch, als ich 1983 das Weinviertel kennenlernte. Die Landschaft mit den sanften, sich überschneidenden Hügeln, den Weingärten, alten Kellergassen, Hohlwegen und Pappelalleen bot mir unzählige Motive zum Malen. Im Laufe der Jahre entstanden viele Bilder einer Landschaft, in der ich gerne lebte.

In den ersten Tagen erkundete ich die nähere Umgebung der kleinen Gemeinde, die zu meinem Lebensmittelpunkt werden sollte. Das Kleinod dieses Ortes ist ein beeindruckendes frühbarockes Ensemble aus Kirche und Pfarrhof aus den Jahren 1671/72. Durch den Ort zog sich eine Kastanienallee, die zu Ehren des Kaisers um 1900 gepflanzt worden war und leider vor wenigen Jahren der Rosskastanienminiermotte zum Opfer fiel.

 

Etwa vier Kilometer außerhalb der Ortschaft kam ich bei meiner ersten Rundfahrt entlang eines Waldes zu einer Anhöhe. Da stand unerwartet auf der linken Straßenseite in der Wiese eine uralte mächtige Kiefer. Ich parkte mein Auto und ging freudig mit wenigen Schritte zur Bank, die neben der Föhre stand. Ein atemberaubender Rundblick bot sich mir. Der markante Kirchturm von Mistelbach war in einiger Entfernung auszunehmen, im Westen glitzerte eine Silberkugel in der Ferne am Horizont auf. Es waren die Leiser Berge mit der Radarstation auf der höchsten Erhebung, dem Buschberg.

Mein Blick schweifte weiter nach Norden, wo die Staatzer Klippe und die Falkensteiner Berge zu erkennen waren, daran grenzten die kleinen Karpaten, jener Gebirgszug im Osten an der Grenze zur Slowakei. Ich war unendlich dankbar, dass ich diesen Platz gefunden hatte. 

 

Unter dieser Föhre sitzend, konnte ich in den folgenden zwanzig Jahren, die ich im Weinviertel lebte, Ruhephasen nach stressigen Stunden im Berufsleben genießen. Die Weite der Landschaft schenkte den Gedanken Raum, um sich zu entfalten, Neues zu denken, Gedichte zu schreiben. Am liebsten kam ich allein hier her, hielt Zwiesprache mit der Föhre, ließ die bewegte Vergangenheit dieser Landschaft gedanklich an mir vorbeiziehen.

 

Was alles hatte diese Föhre überlebt, an Krieg, Armut, Not, Seuchen?

Seit 1055 ist Kettlasbrunn urkundlich dokumentiert, ab ca. 1400 war dieser Landstrich eng mit der Geschichte der Fürsten von Liechtenstein verknüpft, Gegenreformation, Schwedenkriege usw. Die Föhre hatte den Ereignissen getrotzt, war Zeugin einer blutigen Vergangenheit. Auch Schönes hat hier stattgefunden: Verliebte, die einander küssten, Feste wurden gefeiert, es wurde auf dem großen Platz unter der Föhre getanzt und gesungen. Sagen ranken sich um diese "Bildföhre".

 

Kürzlich kam ich wieder hierher um den 2 km entfernten "BAUMKREIS" und >meine< Föhre zu besuchen. Der Platz war leer. Tränen liefen über meine Wangen. Haben die Umweltsünden unserer Generation diesen Baumriesen zerstört, oder fand sein Baum Leben nach vielen Jahrzehnten ein natürliches Ende?