TSCHERNOBYL 1986

TSCHERNOBYL 29.4. – 2.5.1986

© Gerlinde Pauschenwein 

I am become Death, the destroyer of worlds.

Robert Oppenheimer

 

Wenigen Wochen vor der Geburt unsere Tochter wollten mein Mann und ich noch einen Kurzurlaub im Salzkammergut genießen. Es wurde ein Urlaub, den ich nie vergessen werde, denn die Ereignisse dieser Tage haben die Welt verändert.

Der sonnige Anreisetag verlockte zu einem Spaziergang am Traunsee in Gmunden. Abends bezogen wir unser Zimmer in einem Hotel in Hallstatt mit Blick auf den See. Ein Tagesausflug führte uns nach Bad Ischl, den berühmten >Zauner Stollen< ließen wir uns in der gleichnamigen berühmten Konditorei schmecken. Um dem Massentourismus zu entfliehen, flüchteten wir tags darauf zum Gosausee. In der Stille dieser scheinbar unberührten Landschaft, umgeben von den Bergen des Dachsteingebirges waren wir eins mit der Natur. Ein Hochgefühl. Für die beiden letzten Tage hatten wir ein Zimmer im Zentrum von Salzburg gebucht. In dieser Woche verzichteten wir auf die News aus allen Medien. Nur im Autoradio hörten wir die Nachricht, dass in Schweden erhöhte Radioaktivität festgestellt wurde. Der Verdacht fiel auf einen Zwischenfall in einem Atomkraftwerk in der UDSSR, Moskau dementierte. Wir schenkten dieser Meldung keine große Beachtung, bis zu jenem unvergesslichen Nachmittag.

Verliebt schlendern wir durch die belebte Getreidegasse, als am frühen Abend heftiger Platzregen einsetzt. Mit vielen anderen Menschen drängen wir uns in einer überdachten Hauseinfahrt zusammen, dennoch werden wir vollkommen durchnässt. Der Weg ins Hotel ist zum Glück nicht weit. In der Hotellobby herrscht eine eigenartige Stimmung. Die Touristen starren gebannt auf einen Fernsehapparat. Ich registriere dies im Vorbeieilen und begebe mich sofort unter die wärmende Dusche. Rolf ruft aufgeregt, ich solle mich beeilen und die News ansehen. In das Badetuch gehüllt, höre ich die verstörende Nachricht vom Brand in einem Kernkraftwerk in der Ukraine. Nur einige wenige Details zum ersten atomaren Unfall wurden von Moskau bekanntgegeben.

 

Die Menschen in Europa werden vor radioaktiven Niederschlägen gewarnt. Durch ungünstige Wetterbedingungen und unterschiedliche Windrichtungen wird radioaktives Material über eine Wolke in Europa verteilt. In Österreich seien besonders Salzburg und Teile Oberösterreichs betroffen. Man ruft dazu auf, die Kinder nicht ins Freie zu lassen. Vorm Verzehr verstrahlter Lebensmittel wird dringend gewarnt. Die Folgen seien nicht absehbar. Das Entsetzen ist groß, weinend lehne ich mich an Rolf. Ich suche Schutz vor einer unbekannten Bedrohung, die das Leben von einem Tag auf den anderen verändert hat. Was bedeutet dies für unser ungeborenes Kind? Wird es gesund zur Welt kommen? Was bedeutet dieser GAU für die Umwelt, für die Zukunft der Menschen, für Tiere und Pflanzen? Wird unser Kind noch Vogelgezwitscher hören, wird es Obst und Gemüse aus dem Garten essen, frische Kuhmilch trinken können? Fragen über Fragen quälen uns, auf die es derzeit keine Antwort gibt. Nach einer schlaflosen Nacht voller Ängste fahren wir bedrückt nach Hause.

 

 

In einer der schlaflosen Nächte Anfang Mai schrieb ich an mein ungeborenes Kind:

 

Tschernobyl I

 

Noch ruhst du geschützt in mir, mein Kind,

ahnst nicht, dass Wolken gefährlich sind.

Du wirst des Nachts meine Ängste spüren.

Meine Trauer wird deine Seele berühren.

Noch kannst du nicht fragen,

was gestern geschehen.

In wenigen Jahren

wirst DU, geliebtes Kind,

meine Ängste verstehen.     

                                       

Tschernobyl II

Aus eigener Kraft wird unsere Erde

auch ein Tschernobyl verwinden.

Das wünsche ich mit Leidenschaft!

Mein Kind, du wirst noch Blumen finden

und blühende Bäume mit Vögeln im Nest.

An dieser Hoffnung mein Kind, halte ich fest!

Verdrängen will ich der dunklen Ängste Last

und glauben, mein Kind,

dass Du in dieser Welt trotz Tschernobyl,

noch Zukunft hast. 

 

Nach Tschernobyl erfolgte 2011 eine weitere nukleare Katastrophe in FUKUSHIMA, Japan, in Folge eines Tsunami.