CHRIS - in MEMORIAM

© Gerlinde Pauschenwein 

 

Der Morgen war noch grau und trüb, als ich in den Railjet stieg, um deine Geburtsstadt zu besuchen, die ich nur von deinen Erzählungen kannte. Ich blickte hinaus in die Ferne, nur schemenhaft nahm ich während der Fahrt die winterliche Landschaft wahr, ohne mich am frischen Schnee erfreuen zu können. Die Kälte des Winters spürte ich auch in mir. Die Erinnerungen an dich, an die Jahre unserer Liebe begleiteten mich den ganzen Tag. Nie werde ich erfahren was passierte, damals, als du von mir weggefahren bist, nach einer Nacht, die uns das Alter vergessen ließ. Ich erinnere mich an deine zittrige Hand, die kaum die Kaffeetasse halten konnte, an dein blasses Gesicht. Mein Gefühl sagte, etwas stimmt mit dir nicht.

Eine liebevolle Umarmung. Ein leidenschaftlicher Kuss. Danach hörte ich nichts mehr von dir, keine Mails, keine SMS, 'unsere' Nummer unerreichbar. Seit jenem ersten Wochenende vor vielen Jahren hatten wir vereinbart, dass ich nie deine private Nummer wählen werde. Du hattest ein eigenes Handy für mich, warst auch im Institut für mich erreichbar. Dein wochenlanges Schweigen machte mir Sorgen, ich ahnte, es musste etwas passiert sein. Niemals hättest du dich grundlos aus meinem Leben davongeschlichen. Monatelang hüllten mich Verzweiflung ein. Wut auf das Schicksal überfiel mich. Ich hoffte weiter, googelte nach neuem Paper von dir. Nichts!

Dann kam dieser trübe Sonntag. Ich fühlte mich energielos, dennoch fuhr ich zum Matinee-Konzert. Plötzlich warst du in meinen Gedanken mit einer Vehemenz, die mir kalte Schauer über den Rücken jagte. Angst um Dich stieg hoch. In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen, dachte über das Sterben nach. Wieder googelte ich. Dein offener Blick, dein strahlendes Lächeln waren auf Todesanzeigen zu sehen. Wie ein Blitzschlag durchfuhr der Schmerz meinen Körper.

Erinnerungen wurden lebendig im Jetzt, angehalten schien die Zeit. Was passiert in jenen letzten Stunden am Übergang vom Leben zum Tod? Welche Energien fließen zwischen dem Sterbenden und dem geliebten Menschen? Zum Begräbnis bin ich nicht gefahren, dein Grab MUSSTE ich danach besuchen.

Ein schlichtes Holzkreuz in gefrorene Erde gesteckt, dahinter ein alter Wildrosenstrauch, an die Friedhofsmauer geduckt.

Was bleibt von uns? Ein Name, Geburts-und Sterbetag. Das Leben dazwischen hat keine Bedeutung für all die Fremden, die an Gräbern vorübergehen. Nichts an diesem stillen Ort ist wichtig, kein Studienabschluss, kein Hofrat oder Direktor Titel, nichts. Die letzten Sonnenstrahlen bahnten sich den Weg durch die dicke Wolkendecke zu mir. Ich entfernte eine leere Kerzenhülle und stellte eine große rote Kerze in die Laterne. Mit dem Entzünden dieser Kerze für dich und unsere Liebe schloss sich unser Lebenskreis.

Über Umwege erfuhr ich, dass Du die letzten Monate im Pflegeheim verbracht hast. Den Grund konnte ich nicht erfahren. Fragen über Fragen, die mir niemand je beantworten wird.

 

Die Erinnerung an unsere Liebe bleibt.