© Gerlinde Pauschenwein
WEIHNACHTEN Im persönlichen Rückblick und mit der Frage:
Ist Weihnachten noch das Fest der bedingungslosen LIEBE?
Ganz gleich ob wir einen religiösen oder rein familiären Zugang zu diesem Fest haben, wenn wir den Gefühlen unserer Kindheit nachspüren, werden viele von uns mit verklärtem Blick auf die Weihnachtstage Rückschau halten.
In unserem Kulturkreis kann sich wohl kein Kind dem Zauber der Weihnachtszeit entziehen. Der kerzengeschmückte Weihnachtsbaum mit glitzernden Glaskugeln lässt alle Kinderaugen leuchten.
Wie viele Bäume Jahr für Jahr für diesen alten Brauch geopfert werden, danach fragen nur wenige.
Dem Fest der Liebe, dem Fest des Friedens soll der Glanz erhalten bleiben, diese Meinung vertreten wohl die meisten Menschen.
Als ob Friede und Freude in den Familien von einem geschmückten Baum abhängen würde.
Ob in den Familien das Weihnachtsfest allerdings immer von Frieden und Freude erfüllt war und ist, wage ich zu bezweifeln.
Tief verankert in uns ist neben unserer individuellen Vergangenheit laut C.G. Jung auch das kollektive Unbewusste, diese Sehnsucht nach einer heilen Welt. Zu Weihnachten tauchen diese Bilder wieder auf und auch im Alter von 50, 60 oder mehr Jahren kann sich der Intellekt diesen Gefühlen nicht ganz entziehen.
Ich greife aus meinem Leben unterschiedliche Erinnerungen heraus, die, abgesehen von den vielen schönen Weihnachtsfesten mit meiner Familie, einen besonderen Stellenwert haben und dem Sinn des christlichen Festes sehr nahe gekommen sind.
1. Kindheit
In liebevoller Geborgenheit einer kleinbürgerlichen Familie aufgewachsen, erlebte ich die Weihnachtszeit stets mit ähnlichem Ritual.
Mit der Adventkranz- Kantate von Arthur Fischer Colbri, von Vater vorgetragen, begann die Adventzeit. Kerzen am grünen Tannengezweig, mit roten Bändern durchwebt, Weihnachtslieder, der Duft frischer Vanillekipferl durchströmte das Haus; weißes gefranstes Seidenpapier, buntes hauchdünnes Stanniol in das wir Zuckerl und Schokostückchen wickelten – >als Hilfe für das Christkind<- wie uns Mutter sagte, als wir noch daran glaubten….
Ungeduldig mit roten Wangen warteten wir in der Sonntagskleidung darauf, dass am Heiligen Abend um 17 Uhr endlich das helle Läuten einer Glocke uns den Eintritt in das versperrte Wohnzimmer ankündigte.
Vater im Anzug und Krawatte entzündete die Kerzen am Baum, Mutter im festlichen Kleid stimmte ein Weihnachtlied an. In späteren Jahren wurde unser Gesang begleitet vom Flöten – und Klavierspiel meines jüngsten Bruders. Zwischen der breiten Palette an Weihnachtsliedern, zitierte Vater Gedichte von Rilke, Kästner, Arthur Fischer Colbri ua. Mit den Jahren übernahmen wir Kinder diesen Part. Jedes Jahr wieder trug Bruder Sepp das Gedicht „ADVENT“ von R. M. Rilke und ich „WEIHNACHTEN“ von Josef Eichendorf vor. Vater las aus dem Buch >Und es begab sich< 2 Weihnachtslegenden von Karl Heinrich Waggerl.
>Worüber das Christkind lächeln musste< und >Warum der schwarze König Melchior so froh wurde< gehören längst zur klassischen Weihnachtsliteratur. Ich liebte die Geschichte mit dem Floh besonders und freute mich jedes Jahr wieder darauf.
Den Abschluss bildeten das Weihnachtsevangelium - darauf bestand Mutter- und natürlich das Lied STILLE NACHT.
Das Jesuskind in der Krippe mit Stroh, Maria, Josef, Ochs und Esel und der Stern von Bethlehem am Dach des Stalles gehörten ebenso zu Weihnachten, wie der große geschmückte Weihnachtsbaum mit den glitzernden Kugeln, Lametta und dem Stern auf der Baumspitze. Die verlockenden Schokostücke durften erst am dritten Feiertag vom Baum genommen werden.
Der Heilige Abend war ein strenger Fasttag, der Hunger bis zur abendlichen Feier war schon so groß, dass wir bereit waren, die liebevoll verpackten Geschenke erst nach dem Essen zu öffnen. Besonders festlich war der Tisch mit weißem Damast Tischtuch und Kerzen gedeckt, das Familienporzellan und die Kristallgläser wurden nur an Festtagen aus der Glasvitrine geholt.
Jeder in der Familie erhielt 2-3 Bücher sowie benötigte Kleidungsstücke wie Pullover, Mützen, Schals, Socken. Luxusartikel waren nie dabei. Unsere Wünsche waren den finanziellen Möglichkeiten der Eltern angepasst. Dennoch: Wir waren immer glücklich, zufrieden und dankbar, trotz der, für heutige Begriffe, sehr bescheidenen Geschenke.
Manches Jahr lag ein Gesellschaftsspiel für uns alle unterm Baum, immer wurde das Fest durch einen langen Spieleabend mit den Eltern gekrönt.
Nur einmal erinnere ich mich an ein etwas anderes Weihnachtsfest, es war im Jahr 1956.
Die Tragweite der politischen Geschehnisse im Nachbarland Ungarn wurden mir erst viele Jahre später bewusst, wohl aber erinnere ich mich an ein Gefühl der Beklemmung, als ich hörte, dass Kinder von ihren Eltern getrennt, fliehen mussten.
Seit einigen Wochen kam jeden Abend ein 14 jähriger Junge namens Fritz zu uns, der mit Vater Deutsch lernte und mit uns gemeinsam das Abendessen einnahm.
Im kleinen burgenländischen Heimatdorf waren einige Flüchtlinge, vorwiegend junge Burschen, aufgenommen worden, obwohl damals viele Familien in dieser Nachkriegszeit selbst nur das Nötigste zum Überleben hatten.
Am Heiligen Abend des Jahres 1956 kam Fritz auch zur Bescherung zu uns. Obwohl seine Augen vor Freude strahlten, als Mutter ihm zwei kleine Päckchen überreichte, konnte ich die tiefe Traurigkeit spüren, die ihn umgab. Ich verstand intuitiv, was es heißt, die Geborgenheit des Elternhauses zu verlieren. Diese Erkenntnis wirkte auf mich bedrohlich und sehr bedrückend.
Auch in den Folgejahren gab es für Fritz immer ein Geschenk zu Weihnachten.
Erinnerungen habe ich auch an einen greisen Bettler, der um die Weihnachtszeit von Haus zu Haus zog. Mutter bat ihn immer in die Küche und reichte ihm warmes Essen, sooft er an unsere Türe klopfte. Ich empfand schon als Kind tiefes Mitleid mit diesem alten, auf einen Stock gestützten Mann in zerrissenen Kleidern, der die abgelegten Hosen und Hemden und einen warmen Wintermantel meines Vaters mit Dankbarkeit und Würde annahm.
Die Eltern lebten mir vor, Weihnachten bedeutet, armen Menschen in Not zu helfen. Mutter war tief gläubig, Vater war Humanist und Zeit seines kurzen Lebens Agnostiker.
2. ADVENTFEIER 1989
Damals war ich verheiratet, der Sohn 13, die Tochter drei Jahre alt, ich lebte im Weinviertel und leitete neben meiner beruflichen und künstlerischen Tätigkeit einen Kulturverein im Dorf.
Burgschauspieler Peter Schratt, mit dem mich eine langjährige Freundschaft bis zu seinem Tod 1996 verband, kam meiner Bitte nach und wirkte bei einer Adventfeier im stimmigen Ambiente des Barocken Pfarrhofs mit.
Er wählte für diesen 4. Adventsonntag den Roman >Der vierte König<, von Ezard Schaper, den heute kaum jemand kennen dürfte.
Die Geschichte ist sentimental, voller Güte und Pathos. Sie hat mich, obwohl ich damals schon der Kirche nicht mehr nahestand, sehr berührt. Für mich ist sie eine tiefgreifend schöne Geschichte, die man zur Weihnachtszeit lesen sollte.
Es ist eine Parabel auf alle Facetten des Lebens: Es geht um die Kindheit, um Liebe, um Hochmut, Gefangenschaft, Leid, Trauer und die Erkenntnis, dass Besitz letztendlich nicht glücklich macht. Es ist für mich aber auch die Dokumentation des Scheiterns auf der Suche nach Gott. Peter Schratt bezeichnete das Buch als literarisches Kleinod!
Die gewonnene Erkenntnis für viele der Anwesenden bei dieser Lesung war: Weihnachten das Fest der Liebe findet Erfüllung in gelebter Nächstenliebe. Kaum ein Auge im Saal blieb damals trocken.
3. 26 Jahre später: Weihnachten 2015 –WIEN Westbahnhof
Ich hatte das Weihnachtsfest mit meinen Kindern, Schwiegerkindern und dem Enkelsohn um einen Tag vorverlegt und stand mit einem Ehepaar aus Oberösterreich, dessen einziger Sohn im Frühjahr 2015 tödlich verunglückt war, am Heiligen Abend und am Christtag im Notquartier der Caritas, um Kleidung an die ankommenden Flüchtlinge zu verteilen.
Das Elend, die Not machten mich so betroffen, dass ich dafür keine Worte fand und immer noch nicht finde.
Die Nacht vom 24. auf 25.12. 2015 war eine schlaflose Nacht.
Nicht alleine das Schicksal jener Menschen, die in Gruppen von 5 - 7 Personen in den Raum drängten, um warme Kleidung zu ergattern, nicht nur die vielen Kinder und Frauen in Sommerkleidung und Sandalen, für die wir keine passenden warmen Schuhe und Jacken fanden, raubten mir den Schlaf, sondern all die negativen Kommentare „christlicher“ Österreicher.
Was ist aus dem christlichen Gedanken, aus dem Fest der bedingungslosen LIEBE geworden?
Die humanen Werte sind verkümmert, Nächstenliebe findet immer weniger Zustimmung in der Bevölkerung.
Diese Stimmung wird von Populisten genützt, um Wähler zu fangen, christliche Gebetsformeln verkümmern zu manipulativen Wahlsprüchen unter Ausnutzung religiöser Rest-Gefühle im Volk, ein kalkuliertes Spiel.
Angst macht mir das Machtstreben dieser Politiker und die sorglose Gleichgültigkeit der Bevölkerung, die Menschen haben nichts aus der Geschichte gelernt und erkennen die Heuchler nicht.
Meine Generation, geboren in der Nachkriegszeit, den Jahren des Wiederaufbaus, musste kaum Entbehrungen hinnehmen, ich durften 65 Jahre im Frieden leben.
Wir alle leben in einer Welt des Überflusses.
Was aber bleibt nun von Weihnachten?
Einkaufswahn im Advent, Hektik, gestresste Menschen, Kitsch wohin man blickt. Ein Übermaß an Weihnachtsbeleuchtung in den Straßen, an Hauswänden, in Wohnungen, beleuchtete Christbäume vor den Rathäusern und auf großen Plätzen in vielen Ländern dieser Welt. Der wohl berühmteste Baum steht in New York am Rockefeller Center. Die Zweige der Tanne werden mit rund 45.000 LED Birnen erleuchtet. Diese können nur noch vom glitzernden Weihnachtsstern auf der Baumspitze übertroffen werden, mit 25.000 (echten) Swarovski Kristallen. Alleine dieser Stern hat 1.5 Millionen Dollar gekostet.
Wie viele Hungernde könnte man um diese weltweiten sinnlosen Ausgaben ernähren?
Das Fest der Liebe und des Friedens dient dem MOLOCH Kapitalismus, dem KONSUM.
Was bleibt von Weihnachten?
HOFFNUNG!
HOFFNUNG?
Hoffnung, dass es IHN irgendwann gibt, den >Frieden auf Erden, für Menschen, die guten Willens sind< ?
Wäre es nicht ganz einfach, wenn alle bereit zum Teilen, bereit zu helfen, offenen Herzens für ALLE Menschen in Not wären?
Nein, ich kann sie nicht mehr hören, diese Lieder von der seligen, fröhlichen, Gnade bringenden Weihnachtszeit…
Denn ich stimme dem politisch engagierten Schriftsteller Walter Jens zu der sagte:
»Für mich ist die Weihnachtsgeschichte die größte Utopie, die sich denken lässt. Nur, dass es sich im uneigentlichen Sinn um eine Utopie handelt, weil der Ort, der Stall, die Höhle, die Weide der armen Leute, sehr genau gezeichnet ist: Frieden garantiert durch die Benachteiligten.“
-----
Ich hoffe für unsere Kinder, Enkelkinder und alle nachfolgenden Generationen, dass der Weltfriede keine Utopie bleibt, sondern irgendwann Wirklichkeit wird.