© Gerlinde Pauschenwein
Vor mittlerweile acht Jahren bin ich von einem noblen Innenstadtbezirk an den Stadtrand von Wien übersiedelt. Ich tauschte den trostlosen Blick auf die schmutzig-gelbe Fassade eines Gründerzeithauses nahe der Volksoper, gegen den freien Blick auf Kahlenberg und Leopoldsberg. Hier, im 4. Stock einer gepflegten Wohnhausanlage in Floridsdorf fand ich, was ich seit Jahren vermisst hatte: Blick ins Grüne, absolute Ruhe, Vogelgezwitscher. Ein unerwartetes zusätzliches Geschenk der Natur waren und sind die vielen spektakulären Sonnenuntergänge vor meiner Loggia und der breiten Fensterfront des Wohnzimmers. Wohl niemand kann sich dem Zauber eines Sonnenunterganges entziehen, wenn der Himmel in leuchtenden Gelb-Rot und Violett-Tönen den Tagausklingen lässt, bevor sich die Nacht über die Wiener Hausberge langsam senkt. Der erste Spaziergang führte mich zum nördlichen Abschnitt der Donauinsel und weiter zur Donau mit Blick auf das Kahlenbergerdorf.
Ich war begeistert von dem Naherholungsgebiet der Wiener.
Ein anderes Mal zog es mich zum Marchfeldkanal, den ich bisher nicht kannte. Frische Biberspuren säumten meinen Weg. Die Erinnerung an die dreiwöchige Hochzeitsreise in Amerika und Kanada blitzte auf. Im Sommer 1984hatte ich den Baxter State Park in Maine besucht, weil mein Ehemann Bären und Biberburgen samt Biber fotografieren wollte.
Es war eine malerische Landschaft mit vielen kleinen Seen, umgeben von Bergen. An allen Seen lagen Kanus bereit, die man für wenig Geld mieten konnte. Stundenlang saßen wir vor einer Biberburg im Kanu, ich durfte weder reden noch husten, selbst räuspern war strengstens untersagt. Biber war dennoch keiner zu sehen. Als in der Dämmerung heftiger Wind aufkam, hatten wir Mühe, rudernd das Ufer zu erreichen. Während der Reise blieben Biber und Bären dem exklusiv teuren Weitwinkelobjektiv fern!
Verwundert war ich daher über Biberspuren hier am Stadtrand von Wien. Ich schlenderte den Marchfeldkanal entlang. Blitzblaue Brücken setzten Kontrapunkte ins Grün, die Burg am Leopoldsberg rückte immer näher. Über eine abgenagte, entrindete Birke stieg ich wenige Schritte zu einer Sandbank hinab. Auf einem großen Stein sitzend atmete ich tief durch, nur Vogelgezwitscher durchbrach die Stille. Ich lauschte dem Abendlied einer Amsel. Da! Plötzlich zog direkt vor mir ein mächtiger Biber lautlos seine Spur. Ich zückte meine Handykamera und beobachtete ihn, bis er im dichten Gestrüpp am Ufer verschwand. Dies war ein emotionaler Moment für mich, ich fühlte mich mit der Natur im Einklang.
2020 sind Reisen durch das Coronavirus in weite Ferne gerückt. Amerika werde ich aus verschiedenen Gründen nie wiedersehen, aber diese Oase der Ruhe hier in Floridsdorf kann mir selbst das Virus nicht nehmen. Der Goetheausspruch fiel mir ein: >Wozu in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen, denn das Glück ist immer da.<
MARCHFELDKANAL
Acrylbild für die Ausstellung
"Natur und Umwelt"
dazu schrieb ich ein Gedicht
Geschaffen von Menschenhand
Harmonisch in die Landschaft gefügt
Eine Oase der Stille
Von der Donau bis tief ins Marchfeld hinein
Unverkennbar markant
Setzen blitzblaue Brücken
Kontrapunkte ins Grün
Ich lehne am Geländer
Blicke hinüber zum Leopoldsberg
Unter mir staut sich ein kleiner See
Richtung Stammersdorf spazierend
Erfreu ich mich
Am Farbenspiel des Herbstes
Biberspuren säumen meinen Weg
Über einen umgestürzten entrindeten Baum
Steige ich wenige Schritte
Zu einer Sandbank hinab
Höre das Abendlied einer Amsel…
Da … direkt vor mir
Zieht ein mächtiger Biber
Gemächlich seine Spur…
Naturschutzgebiet Marchfeldkanal
Dieses Juwel begeistert mich
Zu jeder Jahreszeit
Am Stadtrand von Wien.
© Linde Pauschenwein