FLÜGEL HEBEN - STORYS ERZÄHLEN

© Gerlinde Pauschenwein 

 

>Das Wort ist nur der Körper unserer inneren Empfindungen.<              Ph. O. Runge

  

Schreiben aus Leidenschaft? Schreiben aus Freude? Schreiben als Therapie? Alles trifft auf mich zu. Schreiben hilft mir, Wesentliches zu erkennen, ich muss klar und fokussiert denken, ich nehme mir Zeit alles zu hinterfragen, zu verwerfen. In heiklen Situationen wäre ein Brief oft die bessere Wahl, ein voreilig ausgesprochenes Wort kann sehr verletzend sein, kann vieles zerstören.

 

Seit Jugendtagen schreibe ich Lyrik und Prosa. Angefangen habe ich mit Liebesgedichten, hielt Erlebnisse fest, die mir wichtig schienen. Mit den Lebensjahren kamen viele bereichernde, glückliche, aber auch tragische Ereignisse. Der Tod geliebter Menschen legte seine Schatten über mich, eine schicksalhafte Wendung durch einen Unfall – immer war das Schreiben eine Stütze, spendete Trost und half mir beim Loslassen! Über die Jahre entstanden viele Erzählungen, sie haben für mich einen besonderen Stellenwert. Geschichten erzählen kann ein wirkungsvolles Heilmittel sein, ebenso das Lesen und Vertiefen in Geschichten, die uns etwas sagen können, die uns weiterhelfen auf der Suche nach verborgenen Winkeln unserer Seele.

 

2020: Ein besonders tragischer Todesfall in der engsten Familie einige Monate vor dem Lockdown beendete mit einem Schlag jegliche Kreativität. Ich konnte weder malen noch schreiben. Alles erschien mir sinnlos. Im Februar  sah ich Werbung über eine Plattform, die Kurzgeschichten suchte. Geschichten mit nur 2500 Zeichen wurden verlangt. Das wäre eine neue Herausforderung, dachte ich. Einige ins Detail gehende Geschichten in meinem Computer könnte ich überarbeiten, Nneue schreiben.

 

Dann kam Corona. Die Uhr tickte unaufhaltsam im Sekundentakt weiter, doch das Leben fühlte sich unwirklich an. Lange wollte ich es mir nicht eingestehen, dass dieser Lockdown zusätzlich auf meine Stimmung drückte. Wochen‐lang öffnete ich nicht einmal die Mails. Mit den engsten Freunden hielt ich über Whatsapp Kontakt. Mein Vorhaben hatte ich zwar im Hinterkopf gespeichert, die Blockade war stärker, als der Wunsch, wieder zu schreiben. Andere Lebensgeschichten interessierten mich gar nicht.

 

Mich beschäftigten zwei Themen: der Tod und die Corona-Angst. Als Single schlitterte ich beinahe in ein schwarzes Loch. Ich musste die aufkeimende Depression verhindern. Wie? Die Intuition riet, endlich meine Kreativität zu aktivieren. Zuerst öffnete ich 30 Mails im Computer. Neben Absagen diverser Veranstaltungen und vereinbarter Ausstellungen in Galerien fand ich. Damit war klar, Bilder malen macht im Moment keinen Sinn, wenn ich sie nirgends zeigen kann. Mein Lager quoll über von Bildern, die darauf warteten, bei Vernissagen gezeigt zu werden. 

 

Plötzlich hatte ich den Slogan >Flügelheben< im Ohr. Wann, wenn nicht jetzt? Schreiben! Durch Worte und Erinnerungen Farbe ins Leben bringen! Die alte Leidenschaft erwachte. Ich ließ mich auf positive und negative Erinnerungen, auf Begegnungen mit Menschen, der Natur, auf Wendepunkte, auf Spuren meines Lebens ein.

 

Dann kam ein weiteres Ziel hinzu: 2021 naht mein siebzigster Geburtstag.

Schaffe ich es, bis Jahresende 70 Episoden meines Lebens niederzuschreiben? 

Einen Versuch sollte es wert sein! 

 

 © Gerlinde Pauschenwein