ALTE EICHEN BEI GÜSSING
ALTE EICHEN BEI GÜSSING
© Gerlinde Pauschenwein
Ausladend überragt die Krone den Weg, der zum Stausee führt. Mein darunter geparkter weißer Toyota veranschaulicht die wuchtige Größe des Baumes, dessen dicker Ast gestützt werden muss. Wie viele Jahresringe diese Eiche wohl zählt? Sie ist die erste von vielen, die nahe des Urbersdorfer Stausees stehen.
Seit vier Jahrzehnten war ich nicht mehr hier am Stausee nahe Güssing. Acht Jahre hatte ich einst im Südburgenland gelebt, hier begann meine berufliche Laufbahn, hier schloss ich Freundschaften, so wertvoll, dass einige davon 40 Jahre überdauerten. Nur die Liebe zu einem schönen Burgenländer war flüchtig, zu groß waren meine Erwartungen, zu unterschiedlich die Interessen. Mein Leben nahm eine neue Wendung, als ich nach Wien übersiedelte.
Rund um diesen Stausee bin ich damals unzählige Male spaziert, meist allein, um meine Gedanken zu ordnen, um zu entspannen, aber immer sehr bewusst die Natur erlebend. Der Rundweg von ca. 2,5 km könnte in 50 Minuten zurückgelegt werden, ich verbrachte Stunden hier.
An der Westseite entlang führte ein schmaler Pfad, dicht bewachsen von Sträuchern, Laub- und Nadelbäumen. Eine Besonderheit waren die 100-jährigen Eichen, die den Weg säumten. Unter einer dieser Eichen hatte ich einen Platz gefunden, wo ich im Gras sitzend, an den mächtigen Stamm gelehnt, Ameisen und Käfer beobachtete und Vogelkonzerte hörte. Der Blick auf die ruhige Wasserfläche des Sees führte zur Kontemplation, an anderen Tagen wieder las ich stundenlang in Büchern. Mit Freundinnen und Kolleginnen war ich im Sommer oft zum Schwimmen beim Urbersdorfer Stausee.
Bei meinem heutigen Rundgang stelle ich fest, dass der einstige Badesee zu einem stillen, beschaulichen Paradies für Fischer geworden ist. Das Baden ist verboten. Es gibt einen Ersatz für Naturliebhaber.
Für Jung und Alt, die sich für die Flora und Fauna interessieren, wurde der CLUSIUS NATURLEHRPFAD angelegt. Auf 12 großen handbemalten Tafeln ist alles Wissenswerte zu diesem Naturschutzgebiet angeführt. In Erinnerung an meine Jahre in Güssing spaziere ich wieder an der dicht bewachsenen Westseite entlang, suche "meinen Platz" unter der 100jährigen Eiche von damals. Ich entdecke neue Zugänge zum See; kleine Stege, Fischerboote. Wasserlilien bieten sich für Fotos an.
Meinen Ruheplatz unter der alten Eiche gibt es nicht mehr. Zersägt in mehrere Teile liegt der einst mächtige Baum im Gestrüpp. Ich biege die Sträucher zur Seite, bahne mir einen Weg bis zum 1 Meter hohen Stamm, der wie eine warnende Baumskulptur mit scharfen Holzspitzen aus dem Boden ragt. Die Eiche ist zersplittert, war es ein Blitz, ein Sturm?
Der unendliche Kreislauf des Lebens, Wachsen und Sterben wird mir vor Augen geführt!
Ich setze mich auf einen querliegenden Stamm des Baumes, spüre die raue, rissige Rinde, die sich an vielen Stellen ablöst.
Nachdenklich zähle ich die Jahresringe meines Lebens.